— Brave, not perfect —

Du musst keine Perfektionistin sein.

Sandra Völler
Sandra Völler
CEO und Gründerin Agilita AG
Zwei Kinder

Sandra Völler gründete 2001 ihr IT-Unternehmen. Heute begleiten sie und ihre mehr als 200 Mitarbeitenden Schweizer KMUs und internationale Firmen auf ihrem Weg der digitalen Transformation. Auf ihre berufliche und finanzielle Unabhängigkeit legt die Wirtschaftsinformatikerin besonderen Wert. Für sie war immer klar: Familiengründung ist erst dann ein Thema, wenn die persönlichen Ziele im Job erreicht sind. Die Aufzeichnung einer Unternehmerin, die überzeugt ist, dass Frauen sich zutrauen sollten, ihre eigene Karriere und die Familiengründung erfolgreich zu vereinbaren.

«Ich habe mich bewusst entschieden, keine Kinder zu haben, bevor ich beruflich nicht an einem bestimmten Punkt angelangt war. Dies war meine individuelle Entscheidung, die zu mir und meinen eigenen Zielen passte. Ich wollte über eine bestimmte Qualifikation und Expertise verfügen, so dass ich sicher sein konnte, immer einen entsprechenden Job zu finden. Als ich dann das erste und das zweite Unternehmen gründete, wurde ich jeweils in der Gründungsphase Mutter. Das hat mir einen richtigen Energieschub gegeben. Die Arbeit, und dass sie mir Spass macht, war für mich immer sehr wichtig. Der Job ist einfach ein Teil von mir. Ich hätte nie zuhause bleiben können. Wäre mein Mann von der Arbeit zurückgekommen und hätte von seinem ereignisreichen Tag berichtet – ich hätte seine Erzählungen nicht hören wollen.»

Eine gute Organisation ist das A und O. 

«Damit man als Mutter arbeiten kann, braucht es eine starke Partnerschaft. Der Mann muss seinen Teil beitragen. Das bedeutet, er muss mit den Kindern zum Arzt, die Kinder von der Kita oder vom Kindergarten abholen, er darf kochen und andere alltägliche Aufgaben übernehmen. Ein «Papa-Tag» in der Woche reicht nicht. Wenn nur ein Elternteil alles rund um die Kinder schultern muss, funktioniert es nicht. Bei uns war das nie ein Problem. Wir haben uns immer sehr gut organisiert. Ich weiss, was ich mir zutrauen kann und wo ich an persönliche Grenzen stosse und Unterstützung brauche. Als Mutter musst du dann aber auch lernen, dass es okay ist, wenn dein Kind vielleicht nicht als erstes in deine Arme läuft, wenn es hingefallen ist. Sondern vielleicht zur Oma, weil es viel Zeit mit ihr verbringt. Du musst loslassen und akzeptieren, wenn dein Mann im Umgang mit den Kindern anders reagiert, als du selbst es getan hättest.»

Stereotypische Rollenbilder sind immer noch fest in der Gesellschaft verankert

«Wir wohnen in einem kleinen Dorf. Ich bin hier oft damit konfrontiert worden, dass viele Menschen weiterhin glauben, dass man eine schlechte Mutter ist, wenn man arbeitet und seine Kinder betreuen lässt. Drei Monate nach der Geburt unserer Töchter habe ich wieder angefangen zu arbeiten. Weil es mir wichtig war. Weil ich unabhängig sein wollte. Da habe ich schon gespürt, dass einige Menschen dachten, dass dies nicht gut für unsere Familie sei. Manchmal hat man mich auf der Strasse sogar ignoriert. Mein Mann hatte dafür eine einfache Erklärung: Dass ich zeige, dass etwas möglich ist, von dem viele immer noch überzeugt sind, dass es nicht möglich ist. Mich hat das nie gestört. Die Leidtragenden waren eher meine Töchter, die von anderen Müttern auf dem Schulweg gefragt wurden, ob es schlimm für sie sei, dass ihre Mutter nicht daheim ist. Aber auch Männer haben mich manchmal verwundert gefragt, wo meine Kinder jetzt seien. Die stereotypischen Rollenbilder sind leider immer noch fest in der Gesellschaft verankert.»  

Immer 150 Prozent geben.

«Für Mütter ist eine Erkenntnis aus meiner Sicht sehr wichtig: Du musst keine Perfektionistin sein. Frauen tendieren dazu, immer 150 Prozent geben zu wollen: In der Familie, im Beruf, im Freundeskreis, bei Hobbies und allem anderen. Man muss manchmal mit weniger zufrieden sein. Das fällt sicher auch deswegen schwer, weil das Umfeld immer noch sehr wertkonservativ ist. Wir haben erlebt, dass wir für ein Lebensmodell, das für uns als Familie sehr gut funktioniert hat, kritisch beäugt wurden. Es ist jedem selbst überlassen, wie er das Familienleben gestaltet. Doch bevor man Kinder bekommt, sollte man sich als Frau darüber im Klaren sein, was einem wichtig ist, und wie man nicht nur die Zukunft der Familie, sondern auch seine eigene gestalten möchte. Ich hatte ein Gespräch mit einem Primarschullehrer, der mir berichtete, dass heute immer noch viele Kinder dieses traditionelle Rollenmodell als Zukunftsvorstellung haben: ein Mann, der das Geld verdient, Kinder und ein Haus. Das muss sich ändern.»

Kinderbetreuung braucht mehr als nur die Mama.

«Aus meiner Sicht ist die Kinderbetreuung in der Schweiz noch nicht ausreichend. Es gibt inzwischen zwar mehr und gute Angebote, aber die Bezahlbarkeit bleibt auch weiterhin eine Herausforderung für Familien, die nicht über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen. Ich würde begrüssen, wenn es hierfür noch mehr staatliche Unterstützung geben würde. Das bestehende System geht zudem davon aus, dass immer jemand zuhause ist, um auf die Kinder aufzupassen. Wir hatten damals neben den Betreuungsangeboten ein dreifaches Netz, um sicherzustellen, dass jemand für die Mädels da ist: Wir Eltern, eine Kinderfrau und meine Mutter. Für die Kinder war das toll, da alle den Alltag anders gestalteten und sie viel Abwechslung erleben durften. Trotzdem waren uns Rituale wie das gemeinsame Frühstück und Abendessen sehr wichtig. Und an den Wochenenden haben wir immer gemeinsam als Familie etwas unternommen. Auf Abendveranstaltungen habe ich weitestgehend verzichtet. Da habe ich einfach meine Priorität auf die Familie gelegt. Auch das gehört dazu: Für eine gewisse Zeit auf etwas zu verzichten und sich bewusst für etwas anderes zu entscheiden.»

Mama ist die coolste.

«Inzwischen sind meine beiden Töchter schon junge Frauen. Das schönste Kompliment für mich ist, dass sie mir heute sagen, dass ich für sie immer die coolste Mama war und noch bin. Als ich an Brustkrebs erkrankte, war ich ein Jahr lang zu Hause. Daran haben sich die Kinder damals schnell gewöhnt und sie fanden es gut, mich den ganzen Tag um sich zu haben. Doch gleichzeitig haben sie auch gesehen, wie viel Spass es mir macht zu arbeiten und Dinge zu bewegen. So haben sie dann auch gesagt, dass es gut ist, dass ich wieder arbeiten kann.»

Bleibt unabhängig. 

«Ob ich meinen Töchtern und anderen jungen Frauen etwas rate? Zuerst sicher: Behalte deine wirtschaftliche Unabhängigkeit. Immer. Eine Ehe ist keine Garantie für eine ausreichende materielle Versorgung. Was ich ebenfalls wichtig finde: Wähle einen Partner, mit dem du dir wirklich vorstellen kannst, eine Familie zu gründen. Ihr braucht gemeinsame Werte. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich Dinge, die schon zu Beginn einer Beziehung schwierig sind, sich plötzlich ändern, wenn es ernst wird. Eine Familie betrifft immer beide. Beide müssen Zeit einbringen. Wenn du dir keine Freiheiten nehmen kannst, wirst du als Frau meist ins Hintertreffen geraten. Sprecht vorab darüber, wie ihr das Familienleben gestalten wollt. Wenn du als Frau nur einen Tag die Woche arbeitest, wird der Job dich nicht erfüllen. Dazu gehört auch etwas, das für mich am Anfang von allem steht: Such dir einen Job, der dir Spass macht. Das ist der Schlüssel zu allem.»

«Für Mütter ist eine Erkenntnis aus meiner Sicht sehr wichtig: Du musst keine Perfektionistin sein.»

Buch anschauen