— Brave, not perfect —

Es gibt keine Superfrauen und Supermänner.

Tanja Vainio
Tanja Vainio, 48
Country President Switzerland at Schneider Electric und Member of the Board of Directors Franke Group
Drei Kinder (Zwillinge 16 Jahre und 13 Jahre)

Tanja Vainio ist Schweiz-Chefin eines internationalen Elektrotechnik-Konzerns. Wichtige gesellschaftliche Themen wie Digitalisierung, Energiewende, Klimaneutralität, Nachhaltigkeit und auch Gleichberechtigung gehören zu ihrem beruflichen Alltag. Um diese vorantreiben und gestalten zu können, ist es für die Mutter dreier Kinder entscheidend, dass Fortschritt in diesem Bereich auch für sie persönlich relevant ist. Ein Gespräch über Veränderung, moderne Familien und gelebte Gleichberechtigung. 

Tanja, wie steht es aus Deiner Sicht um den Wandel in Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau?

Gleichberechtigung hat aus meiner Sicht viele Dimensionen. Die von Mann und Frau ist eine davon. Aber sie ist entscheidend, wenn wir eine gerechte und fortschrittliche Gesellschaft sein wollen. Die Schweiz hat zuletzt viele Fortschritte gemacht, um die leider immer noch bestehende Diskrepanz in Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter aufzuheben: in der Politik, auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem. Aber es bleiben weiterhin Herausforderungen. Insbesondere in Bezug auf die Rollenverteilung, berufliche Aufstiegschancen und finanzierbare Kinderbetreuung. Ich sage bewusst «finanzierbar». Denn es gibt inzwischen in den urbanen Räumen viel Angebot. Für viele Familien ist es aber weiterhin zu teuer.

Wie ändert man das?

Da sind wir alle gefragt: Politik, Unternehmen und Gesellschaft. Viele Unternehmen gehen mit der Zeit und bieten Familien einige Benefits an, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern, so dass beide Elternteile arbeiten können, wenn sie möchten. Aber das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Stereotypen muss sich noch viel stärker ändern. Dazu braucht es starke Vorbilder, die vorangehen und zeigen: Du kannst sein und tun, was Du willst. Jeder von uns kann zudem sein eigenes Verhalten reflektieren und sich hinterfragen. Bin ich als Mitarbeiterin, Vorgesetzte oder Freundin ein gutes Beispiel? Auch das bewirkt einen Wandel des Mindsets. Ich bin überzeugt, eine gleichberechtigte Gesellschaft fördert auch ökonomischen Fortschritt.

Du bist in Finnland aufgewachsen. Welches Verständnis von Gleichberechtigung gab es bei Euch zuhause?

Meine Eltern waren beide berufstätig. Meine Mutter hatte sogar eine bessere Position als mein Vater. Das hat auf jeden Fall mein Verständnis von Gleichberechtigung, Unabhängigkeit, persönlichem Engagement und Einsatzbereitschaft definiert. In allen Familien, die ich kannte, waren Vater und Mutter berufstätig. Nicht nur mein Elternhaus, das ganze Umfeld hat mich geprägt und inspiriert, Mut zu haben und sich ambitioniert eigene Ziele zu setzen. Ich habe früh gelernt, dass jeder seine beruflichen Ziele verfolgen sollte – unabhängig vom Geschlecht.

Wie hast Du es selbst erlebt, Familie und Karriere zu vereinbaren?

Das ist für Mütter immer eine Herausforderung, aber eine schöne. Ich glaube, jede Mutter hat Momente, in denen sie sich fragt, ob sie alles schaffen kann. Besonders in Zeiten, in denen man beruflich sehr gefordert ist oder in der die Kinder vielleicht eine schwierige Phase in der Schule haben. Flexi­bilität und Organisation helfen. Wichtig ist es, anzuerkennen, dass man zwar alles haben kann, aber nicht gleichzeitig. Das fordert auch niemand von dir. Als die Kinder klein waren, habe ich mich bewusst für einen Job entschieden, für den ich wenig reisen musste. Es gibt Phasen, in denen man Prioritäten setzen muss. Das war für mich in dem Moment die Familie. Man sollte das nicht allein entscheiden, sondern seinen Partner und auch den Arbeitgeber einbeziehen. Ich habe von Arbeitgeberseite aus immer sehr viel Unterstützung und Flexibilität erfahren. Am Ende des Tages ist niemand von uns ein Supermensch. Ich bin keine Superfrau und ich vermute, es gibt auch keine Supermänner. Menschen, die dich unterstützen sind unersetzlich. Du brauchst als Mutter Menschen, auf die du dich verlassen kannst. Unsere Eltern beispielsweise wohnen nicht in der Nähe. Aber, wenn wir sie bitten, kommen sie sofort, um uns zu unterstützen.

Fällt es leicht, um Hilfe zu bitten?

Nein. Den Ratschlag kann man anderen zwar immer einfach geben: Frag doch, ob dir jemand helfen kann. Aber für mich war das nie einfach. Ich denke, das ist es für ganz viele Frauen nicht. Als meine Kinder klein waren, hätte ich das aber viel mehr machen sollen – einfach um Unterstützung zu bitten.

Gab es bestimmte Situationen, in denen Du rückblickend nach Hilfe fragen würdest?

Es gibt im Beruf immer anstrengende Phasen: ein neuer Job oder ein wichtiges Projekt beispielsweise. Für uns als Eltern waren die ersten sechs Monate nach einem Umzug immer sehr fordernd. Wir sind berufsbedingt häufig umgezogen. Dann musst man erst einmal alles neu aufsetzen: neue Schule, neuer Arzt, neue Freunde. Wir haben dann immer sehr stark darauf geachtet, dass unsere drei Kinder gut ankommen und Freunde finden. Man darf aber dabei nicht vergessen: Wir Eltern brauchen auch Freunde. Wenn man berufstätig ist, muss man sich daran gewöhnen, dass es immer Termine in der Schule oder der Kita geben wird, wo man nicht dabei sein kann, weil man im Büro ist oder andere berufliche Verpflichtungen hat. Dabei habe ich zu jeder Zeit Unterstützung von meinem Mann bekommen. Das Elternsein ist für uns eine gemeinsame Sache. Wenn ich nicht konnte, geht er hin und umgekehrt.

Gibt es bei Euch, abgesehen davon, eine Aufgabenteilung?

Mein Mann ist seit unserem dritten Kind «Full Time Dad». Er ist zuhause für unsere Kinder da und übernimmt sehr viele Aufgaben sowie unsere ganze Organisation. Da die Grosseltern der Kinder sehr weit weg wohnen, ist das für uns eine super Lösung. Dazu haben wir uns entschieden, als unsere Jüngste ein Jahr alt war und wir beruflich nach Ungarn gezogen sind. Zu der Zeit stand sehr viel auf dem Programm. Das war mit zwei berufstätigen Elternteilen nicht zu stemmen.

War es für ihn herausfordernd, seinen Beruf hintenanzustellen?

Um das zu tun, braucht man grosses Verständnis für seine Partnerin und ein gesundes Selbstbewusstsein. Natürlich stellen die Leute ihm neugierige Fragen: Du arbeitest nicht? Wann gehst du in deinen Job zurück? Da muss das Selbstbewusstsein schon sehr stabil sein. Für uns war eigentlich immer klar: Wenn einer zuhause bleibt, dann mein Mann. Aber wir haben das gemeinsam diskutiert, besprochen und abgewogen. Nur, weil man sich in der Theorie einig ist, bedeutet es nicht, dass es in der Praxis funktioniert. Anerkennung und Wertschätzung sind sehr wichtig. Es geht ja nicht nur um die Anerkennung meiner Karriere, sondern auch um die Anerkennung von dem, was er für unsere Familie leistet. Gleichberechtigung bedeutet auch Anerkennung für beide Rollen.

Welche Hürden siehst Du heute für Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen?

Aus meiner Sicht braucht es noch mehr Betreuungsmöglichkeiten. Damit meine ich auch Tagesschulen. Die kleinen Kinder kann man schon ganztägig betreuen lassen, aber sobald sie älter sind, wird es wieder schwieriger. Hinzu kommt, dass es immer noch traditionelle Rollenbilder gibt: Die Frau bleibt bei den Kindern, der Mann arbeitet. Geht die Mutter zurück in den Job, gibt es im Umfeld Ressentiments gegen diese Entscheidung. Aber da hat sich auch schon viel bewegt. Arbeiten Mütter, haben sie aufgrund der hohen Betreuungskosten oft finanzielle Nachteile. Das darf nicht sein. Und zuletzt gibt es auch leider noch häufig unflexible Arbeitsbedingungen. Wenn die Kinder klein sind, muss man einfach manchmal umplanen und von zuhause arbeiten oder mal einen Tag länger und den anderen dafür kürzer.

Hast Du einen Tipp für junge Frauen, die der Herausforderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegenüberstehen?

Ganz einfach: Go for it. Sei hartnäckig. Lass dich von Gegenwind nicht irritieren. Setz dir klare Ziele. Das hilft, deine Prioritäten zu kennen und anzuwenden. Ich glaube, gerade das ist für Frauen schwierig. Männer formulieren ihre Ziele ganz einfach. Ich will CEO sein. Ich will Präsident sein. Frauen sollten sich viel mehr zutrauen. Und dabei helfen Vorbilder. Wenn man sieht, dass jemand es geschafft hat, weiss man, es ist machbar. Denkt an euch selbst. Bei Frauen kommen oft Arbeit, Familie, Freunde und irgendwann ganz am Schluss man selbst. Aber man muss auch auf sich achten, um seine eigene Balance zu finden. Für mich persönlich war es immer wichtig, ein Netzwerk aus anderen berufstätigen Müttern zu haben. Man kann über vieles sprechen, man bekommt Unterstützung. Und man lernt aus den Erzählungen anderer berufstätiger Mütter, dass sie auch nur mit Wasser kochen und man nicht allein ist. Keine von uns ist perfekt. Wir machen alle Fehler und lernen daraus. Erlaube dir, nicht perfekt sein zu wollen. Wir haben viel über Gleichberechtigung gesprochen.

Warum denkst du, sind in der Schweiz so viele Betreuungsangebote von Frauen geführt oder werden von Frauen ausgeführt?

Ich denke, das zeigt das Engagement und die Solidarität von Frauen. Sie setzen sich für die Bedürfnisse anderer Frauen und Familien ein. Frauen nutzen ihre Fähigkeiten und ihr Wissen, um die sozialen Strukturen zu schaffen, die Familien dabei helfen, die eigene Karriere und das Familienleben zu vereinbaren. Sie helfen damit Männern und Frauen und schaffen so gleichberechtigte Chancen für alle. Die Arbeit, die in Betreuungs­einrichtungen geleistet wird, verdient extrem viel Anerkennung. Und man muss sich bewusst sein, hier stehen nicht Frauen für Frauen ein, sondern Frauen für Familien. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft.

«Man lernt aus den Erzählungen anderer berufstätiger Mütter, dass sie auch nur mit Wasser kochen und man nicht allein ist. Keine von uns ist perfekt. Wir machen alle Fehler und lernen daraus. Erlaube dir, nicht perfekt sein zu wollen.»

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