— Brave, not perfect —

Man kann auch mit Kindern Professorin sein.

Prof. Dr. Sonja Perren
Prof. Dr. Sonja Perren, 53
Professorin an der Universität Konstanz und Pädagogischen Hochschule Thurgau
Zwei Kinder (17 und 9 Jahre)

Die Wissenschaftlerin Sonja Perren wuchs im Kanton Wallis auf. Dort prägte eine traditionelle Rollenverteilung zwischen Mutter und Vater den Alltag und ihre Überzeugung, man könne sich als Frau nur zwischen Familie oder Karriere entscheiden. Das änderte sich erst nach ihrem Umzug in die Stadt, wo sie an der Universität Professorinnen mit Kindern kennenlernte. Ein Gespräch über die Erwartungshaltung anderer und die Bedeutung von guter Kinderbetreuung.

Prof. Perren, lebt es sich mit Kindern im ländlichen Raum anders als im urbanen Umfeld?

Aus meiner Sicht würde ich sagen, dass das als ich aufwuchs, der Fall war. Es gab andere Erwartungen an die Aufgabenverteilung in der Familie. Meine Mutter hat nicht gearbeitet. Wenn wir Kinder zuhause waren, war sie immer da. Mein Vater war Lehrer. Dadurch hatte er eine gewisse Flexibilität. Kinderbetreuung war aber in erster Linie die Aufgabe meiner Mutter. Das wurde damals auch vom Umfeld so erwartet. Es gab kaum Betreuungsmöglichkeiten in den Dörfern. Es hat sich aber viel getan. Heute findet man auch hier ein entsprechendes Angebot. Aber immer noch ein deutlich kleineres als in den Städten. Dennoch glaube ich, dass ich nach der Geburt meiner Kinder nicht zügig wieder zurück in den Beruf gegangen wäre, sondern länger zuhause geblieben wäre, hätte ich zu der Zeit noch in meinem Heimatdorf gelebt. 

Hat diese Rollenverteilung sie geprägt? 

Ich habe lange gedacht, dass ich mich als Frau für eines entscheiden müsste: Kinder oder Karriere. Dass das gar nicht notwendig ist, habe ich erst verstanden als ich für meine wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität in die Stadt zog. Das akademische Umfeld hat mir gezeigt: Es geht doch! Da waren einige Professorinnen, die Kinder hatten. Es braucht ein soziales Umfeld, dass einem vorlebt, dass man beides schaffen kann. 

Gab es trotzdem Momente, in denen Sie dachten, dass doch nicht beides zur gleichen Zeit möglich sei?

Nein, niemals (lacht.) Ich habe aber den Erwartungsdruck anderer gespürt. Es gibt leider immer noch die Erwartung, dass die Mama zuhause bleibt oder maximal in Teilzeit arbeitet. Auch heute werde ich kaum gefragt, was ich eigentlich arbeite. Diese fest verankerte Vorstellung ist inzwischen wirklich überholt.

Welche Rolle haben gute Betreuungsangebote für Sie und Ihre Familie gespielt?

Eine sehr grosse. Ich bin nach der Geburt unserer ersten Tochter relativ schnell wieder Vollzeit in meinen Beruf zurückgekehrt. Für meinen Mann war es nie ein Thema, ob ich zuhause bleibe. Stattdessen war es selbstverständlich, dass ich meine Arbeit an der Uni wieder aufnahm. Diese Unterstützung des Partners ist sehr wichtig. Nach der Geburt der zweiten Tochter habe ich die Arbeitszeit drei Jahre lang reduziert. Beide Kinder kamen schnell in die Kita. Auch eine der Grossmütter hat uns  intensiv in der Betreuung unterstützt. Die Kita hat es mir ermöglicht, meinem Beruf nachzugehen und meiner Familie gerecht zu werden.

Haben Sie einen Ratschlag für junge Mütter?

Verlieren Sie nicht den Glauben daran, dass beides möglich ist. Bleiben Sie flexibel, suchen Sie Lösungen und vor allem: Suchen Sie sich eine gute Betreuungssituation für Ihr Kind. Es ist wichtig, dass Sie sich sicher sind, dass Ihr Kind sich hier wohlfühlt und die Kita eine hohe Qualität bietet. Gute Qualität gibt ein gutes Gefühl.

Sie forschen selbst zu der Frage, wie sich unter anderem diese Qualität auf die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern auswirkt. Was macht gute Qualität bei einer Kita aus?

Diese Frage möchte ich aus persönlicher und aus wissenschaftlicher Sicht beantworten. Starten wir mit meiner subjektiven Ansicht. Es ist wichtig, dass die Kita aus Perspektive des Kindes eine gute Wahl ist. Dazu zählt, dass die Betreuung für das Kind vorhersehbar und kontinuierlich ist, also es bestimmte Kita-Tage gibt. Gut ist, wenn es nicht zu viele Betreuungspersonen gibt, so dass die Kinder eine Bindung zu ihnen aufbauen können. Und für mich war auch immer das Bauchgefühl, das ich als Mutter hatte, entscheidend. Rückblickend kann ich Situationen benennen, zum Beispiel beim Essen, bei denen ich damals einfach die Art und Weise, in der die Kita es gehandhabt hat, akzeptiert habe. Ich dachte, dass mein Kind da durch muss. Ich würde das heute nicht mehr akzeptieren. Man sollte sich als Mutter trauen, anzusprechen, wenn man sich mit etwas unwohl fühlt. Gute Kitas sind immer offen für alle Anliegen der Eltern. Das bedeutet auch, dass die Türen der Kita Müttern und Vätern im wahrsten Sinne des Wortes offenstehen. Zum Beispiel  beim Abgeben und beim Abholen wirklich in die Räume gehen zu dürfen oder regelmässig hospitieren zu dürfen Gute Kitas bieten dem Kind die Möglichkeit etwas zu lernen und sich zu entwickeln. Es wird nicht einfach nur «aufgehoben». 

Und was sagt die wissenschaftliche Betrachtungsweise?

Ich untersuche, vereinfacht gesprochen, die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Dabei bin ich vor allem an zwei Faktoren interessiert, die diese beeinflussen: Zum einen ist das der Einfluss der Spielkameraden. Zum anderen, wie schon erwähnt, die Qualität der Kita. Hier zeichnet sich Qualität vor allem durch emotionale und Verhaltensunterstützung  und die aktive Lernunterstützung aus. Kinder sollen sich in der Betreuung wohlfühlen und emotionale Unterstützung von den Betreuern und Betreuerinnen erhalten. Das ist wichtig. Zum anderen sollte die Umgebung in der Kita so gestaltet sein, dass das Kind Erfahrungswelten hat, in denen es altersgerecht lernen kann. Die Betreuerinnen sind für das Kind da und begleiten es durch diese Welten. Die Interaktion mit ihnen ist also nicht nur emotional unterstützend, sondern auch lehrreich. 

Schauen wir in die Zukunft. Wie sieht die Kinderbetreuung in zehn Jahren aus?

Ich wünsche mir, dass die Einsicht, dass es in der Kita auch um kindliche Bildung geht, sich noch viel mehr durchsetzt. Eine Kita ist eine Bildungsinstitution, die eine Aufgabe hat. Ich denke, dass sich die Betreuung noch mehr professionalisieren wird und die Qualität der Kinderbetreuung insgesamt steigt. Da hat sich schon viel bewegt. Und ich hoffe auf mehr Anerkennung für den Beruf der Betreuerin oder des Betreuers. Das wird oft als «Spielen mit Kindern» belächelt, dabei ist das ein so wichtiger Lebensabschnitt der Kids. Den zu begleiten ist eine wichtige, verantwortungsvolle und privilegierte Tätigkeit.

«Die Kita hat es mir ermöglicht, meinem Beruf nachzugehen und meiner Familie gerecht zu werden.»

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