— Brave, not perfect —

Mütter dürfen sich Auszeiten nehmen.

Anna-Sabina Zürrer
Anna-Sabina Zürrer, 42
Künstlerin
Ein Kind (10 Jahre)

Anna-Sabina Zürrer wusste schon früh, dass sie die Kunst zu ihrem Beruf machen wollte. Damit hatte sie sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Ausschliesslich von einer künstlerischen Tätigkeit zu leben, gelingt nur ganz wenigen in der Branche. Ihren Plan setzte sie trotzdem in die Tat um: Heute arbeitet sie als Künstlerin in ihrem Atelier in Luzern und unterrichtet an einer Kantonsschule junge Menschen in «Bildnerischem Gestalten». Lange Zeit kam ein Leben mit Kind für sie nicht in Betracht – auch, weil junge Mütter es in der Kunstszene besonders schwer haben, sich erfolgreich zu etablieren. Der Bericht einer kreativen Mutter, die sich entschlossen für Veränderung einsetzt. 

«Ob ich erfolgreich darin bin, Familie und Beruf zu vereinbaren, ist eine gute Frage. Mein Sohn ist inzwischen zehn Jahre alt und ich versuche mich immer noch darin. Es gelingt mir inzwischen viel besser als in der Vergangenheit. Ich bin über die Jahre gelassener und er selbstständiger geworden. Ich sehe mein Leben gern als einen bunten Blumenstrauss mit vielen verschiedenen Blumensorten. Diese Vielfalt verleiht dem Strauss seine Schönheit. Bei mir ist jede Woche anders und das mag ich. Überhaupt gibt mir Energie, weil ich das tue, was ich liebe. Mein Leben setzt sich zurzeit nämlich zusammen aus 50 % Kunst unterrichten, 50 % Kunst machen, 50 % mit meinem Sohn, 40 % mit meinem Partner, 30 % mit Tango Argentino und Lindy Hop tanzen, 20 % im Garten, 10 % kulturelle Veranstaltungen oder Freunde besuchen etc. Eine Rechnung die eigentlich nicht auf geht, aber mich in jedem Sinn des Wortes erfüllt.»

Kind oder Kunst?

«Kunst ist mein Beruf. Ich wusste schon im Studium, dass ich in der Kunstvermittlung tätig sein und auch selbst Kunst machen und ausstellen will. Diese Kombination bedeutet oft ein Balanceakt, aber ich empfinde es als gegenseitige Bereicherung. Es gibt nur wenige Stellen für Kunstlehrpersonen in der Schweiz. Ich habe früh damit begonnen, mich intensiv um einen der rar gesäten Jobs zu bemühen und arbeite seit 16 Jahren zwei bis drei Tage pro Woche an einem Gymnasium. Lange Zeit wollte ich kein Kind, denn mein Ziel war es, in der Kunst etwas zu erreichen. Man lernt als Künstlerin früh, dass ein Kind nicht unbedingt förderlich für deine Karriere ist. Das liegt auch daran, dass man die sogenannten Ateliersstipendien braucht, um sich einen Namen zu machen. Die bedeuten aber fast immer, dass man sich für eine längere Zeit im Ausland aufhält. Sein Kind in der Zeit zu Hause zu lassen, geht eben so wenig, wie sein Kind z.B. für sechs Monate mit nach Paris zu nehmen und sich dort zeitgleich auf den eigenen, kreativen Schaffensprozess zu konzentrieren. Ich habe mir immer gesagt, dass ich ein Kind haben möchte, wenn ich mich als Künstlerin so etabliert habe, dass ich mir Familie «erlauben» kann. Finanziell ertragreich ist Kunst nur für die wenigsten. Ich bin froh um meinen Lehrberuf. Er bereitet mir bis heute nicht nur viel Freude, sondern ist auch eine willkommene finanzielle Konstante, die es mir erlaubt, in der Kunst unabhängig zu sein.»

Kunst als Trotzreaktion

«Als ich Mutter wurde, setzte bei mir erst einmal eine Trotzreaktion ein. Ich wollte nicht nur noch als Mutter gesehen werden, sondern unbedingt weiter unterrichten und weiter Kunst machen. Wenn auch beides in leicht reduzierter Form. Ich hatte ständig das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Damals war der Vater meines Sohnes und meine Eltern eine wichtige Unterstützung für mich, weil ich in der Betreuung meines Sohnes immer auf sie zählen konnte. Später bin ich nachts, wenn mein Sohn schlief, ins Atelier gegangen und habe bis über meine Grenzen hinweg gearbeitet. Aber Neues zu erschaffen, fiel mir in dem Zustand schwer, denn die Zeit, um sich in die Kunst zu vertiefen, war sehr limitiert. Kunst wurde zeitweise zur Nebensache, weil ich mit der Betreuung und meiner Tätigkeit in der Schule mehr als genügend ausgelastet war. Aber die Zeit mit meinem Sohn war mir heilig, die Entschleunigung und das viele Draussensein hat gutgetan. In dieser Phase habe ich gelernt, den Moment voll auszukosten und besser mit meiner Zeit umzugehen. Trotzdem fragte ich mich ab und zu, ob mein Leben ohne die Kunst nicht einfacher wäre. Oder die Gegenfrage, ob es als Künstlerin ohne Kind nicht einfacher wäre. Beide Fragen kann ich mit Ja beantworten und möchte doch um nichts in der Welt mit einer anderen Person tauschen. Ich glaube, diese oder eine ähnliche Frage hat sich jeder Elternteil in einem fordernden Moment schon einmal gestellt. So streng es auch sein kann: Das Leben mit einem Kind ist so lehrreich und bereichernd, es macht mich einfach glücklich.»

Wer keine Kinder hat, hat mehr Chancen

«Die meisten müssen neben der künstlerischen Tätigkeit noch einem anderen Job nachgehen, um Geld zu verdienen. Für KünstlerInnen mit Kindern ist es daher eine dreifache Belastung: Sie arbeiten für die Kunst, für den Geldjob und für die Familie. Sich und die eigene künstlerische Arbeit erfolgreich zu etablieren ist eine riesige Herausforderung, denn so wie es seit Jahrzehnten läuft, sind Mütter klar benachteiligt. Die Intensität der künstlerischen Arbeit wird u.a. immer noch an der Menge der Ausstellungen, Preisen und Atelierstipendien in deinem Dossier gemessen, das du für Ausstellungsbeteiligungen, Wettbewerbe etc. einreichst. Doch unsere Zeit ist beschränkt, Atelieraufenthalte aus vorher genannten Gründen nicht realisierbar. Es wird davon ausgegangen, dass man alle Kraft in die Kunst steckt, immer verfügbar ist und nicht abgelenkt wird. KünstlerInnen weisen daher in ihren Unterlagen oft gar nicht aus, dass sie ein Kind und einen Geldjob haben, weil das ihre Erfolgsaussichten schmälert. Ich finde das diskriminierend. Wenn überhaupt, haben die meisten Kunstschaffenden nur ein Kind. Das muss sich ändern. Auch in den Jurys, die über Stipendien und Förderungen entscheiden, muss ein Umdenken stattfinden. Als Jurymitglied habe ich selbst erlebt, dass eine junge Mutter ein Stipendium gewann, aber absagen musste, weil sie dafür ins Ausland gemusst hätte und keine Betreuung für ihr Kind organisieren konnte. Die Chancen auf Erfolg sind viel grösser, wenn man kein Kind hat.»

Veränderung aktiv einfordern

«Als mein Sohn ungefähr anderthalb Jahre alt war, gab es eine Zeit, in der ich an die Grenze meiner Belastbarkeit kam. Ich schlief über Wochen nur vier Stunden pro Nacht, um allem gerecht zu werden, Zeit für Kind, Schule und Kunst zu haben. Ich organisierte zwei Einzelausstellungen in kurzer Zeit – eigentlich tolle Projekte, über die ich mich aber nicht richtig freuen konnte. Unsere Wohnung war uns gekündigt worden und wir mussten umziehen. Irgendwann fuhr ich morgens im Dunkeln mit dem Auto zur Schule und merkte erst nach einiger Zeit, dass ich ohne Licht fuhr. Ich war so überarbeitet, dass ich mich kaum auf etwas konzentrieren konnte. Man braucht für diese Situationen ein gutes Netz aus Freunden und Familie, die für einen da sind. Heute lebt mein Sohn die Hälfte der Zeit beim Vater und alles ist entspannter. Teilzeit alleinerziehend zu sein kann zwar auch anstrengend sein, aber ich habe immerhin die andere Hälfte der Woche mehr Zeit für mich. Ich wünsche mir, dass in der Kunstszene ein generelles Umdenken stattfindet. Die Herausforderungen, denen KünstlerInnen mit Kind gegenüberstehen, müssen angegangen werden. Es braucht familienfreundliche Atelierstipendien und eine generelle Sensibilisierung für das Thema. Dazu müssen wir uns aber auch trauen, diese Veränderungswünsche offen anzusprechen und zu thematisieren. Sonst merkt niemand, dass hier grosser Bedarf besteht. Es braucht eine neue Definition davon, was die Qualifikation einer Künstlerin eigentlich ausmacht. Das kann nicht länger nur ihre Unabhängigkeit und die Zahl der Auslandsaufenthalte sein.»

Mütter dürfen Hobbys haben

«Damals war ich sehr froh über die Möglichkeit, meinen Sohn an einzelnen Tagen durch Kita, Tagesmutter oder meine Eltern betreuen lassen zu können. Heute bin ich weniger darauf angewiesen. Ich sage allen Eltern: Nehmt euch Auszeiten. Zeit für euch alleine oder für Hobbys. Es ist wichtig, um nachher wieder genug Energie fürs Kind zu haben. Heute gehe ich, wenn mein Sohn beim Vater ist, mehrmals in der Woche in Tanzkurse. Es macht mir wahnsinnig viel Spass. Diese Auszeiten haben mir sehr geholfen, meine heutige Zufriedenheit zu entwickeln.»

«Als ich Mutter wurde, setzte bei mir erst einmal eine Trotzreaktion ein. Ich wollte nicht nur noch als Mutter gesehen werden, sondern unbedingt weiter unterrichten und weiter Kunst machen.»

Buch anschauen