— Brave, not perfect —

Mütter müssen gegen verschiedene Stoppschilder ankämpfen.

Carolina Müller-Möhl
Carolina Müller-Möhl, 54
Gründerin und Präsidentin der Müller-Möhl Group und Foundation
Ein Kind (25 Jahre)

Carolina Müller-Möhl ist Verwaltungsratspräsidentin der Müller-Möhl Group. Vor mehr als zehn Jahren rief sie die Müller-Möhl Foundation ins Leben. In der Stiftung bündelt sie ihr grosses gesellschaftspolitisches Engagement für Bildung und für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sich aktiv für Veränderung einzusetzen und mitbestimmen zu können ist für sie ein einmaliges Privileg, das man gerade als Frau nutzen sollte.

Frau Müller-Möhl, wie steht es aus Ihrer Sicht um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz?

Ich weiss, dass wir uns immer noch schwertun. Das hat verschiedene Gründe, die alle miteinander verbunden sind. Das macht das Ganze sehr komplex. Ich sehe die Ursachen auf drei Ebenen: einer sozio-kulturellen, einer systemischen und einer individuellen Ebene, der Frau selbst.

Das müssen Sie ausführen…

In der Schweiz haben wir immer noch ein sehr konservatives Rollenverständnis zwischen Mann und Frau. Sie ist die Hausfrau, er der Ernährer. Dies wurde gerade erst wieder durch aktuelle Befragungen beider Geschlechter belegt und zeigt die Probleme auf der sozio-kulturellen Ebene. Wenn wir über die systemischen sprechen, sprechen wir über die nicht idealen Rahmenbedingungen, zum Beispiel den Mangel an Kita-Plätzen, und die zu hohen Tarife, wie auch über den Mangel an flächendeckenden Ganztagsschulen und die negativen Erwerbsanreize für Frauen aufgrund des heutigen Steuersystems. 

Und die individuelle Ebene?

Gemeint ist die Sozialisierung, die man als Frau erfährt. Dazu zählen die schon angesprochenen gesellschaftlichen Normen, das Rollenbild der Eltern und ganz banale Dinge wie die Tatsache, dass Playmobil keine Pilotinnen produziert. Das mag unwichtig erscheinen, hat aber einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung, die Ambitionen und Ziele von jungen Frauen.

Und das hat Folgen…

In der Schweiz sind zwar 76 Prozent der Frauen berufstätig, aber mehr als die Hälfte davon in Pensen von unter 50 Prozent. Das bedeutet, dass Steuergelder in eine Ausbildung dieser Frauen fliessen, die nie in einer Berufstätigkeit mündet. Mit den sehr kleinen Pensen ist es kaum möglich, sich in einem Beruf wirklich zu etablieren. Dieser Trend zu Teilzeitarbeit beginnt im Alter von 30 Jahren, wenn Frauen zum ersten Mal Mutter werden und verstärkt sich bei jedem weiteren Kind. Die Kinderquote verharrt jedoch in der Schweiz bei 1,4. 

Das heisst, wer als Mutter mehr als nur in Teilzeit berufstätig sein möchte, muss gegen diese verschiedenen Stoppschilder und Stereotypen ankämpfen. Dazu braucht es eine gehörige Portion Mut, viel Durchhaltewillen und Widerstandsfähigkeit. Man muss sich stetig selbst motivieren und antreiben können.

Wer hat Sie denn als Kind geprägt?

Meine Schwester und ich würden heute wohl als «Schlüsselkinder» bezeichnet werden. Wir waren früh sehr eigenständig unterwegs. Unsere Eltern, beide 100 % berufstätig, lebten uns Gleichstellung vor. Beide führten gemeinsam eine Praxis in unserem Haus, sie fuhren zusammen zu Kongressen und kümmerten sich ebenso gemeinschaftlich um uns Kinder. In meiner Erinnerung war ich dabei durchaus zufrieden. 

Sie wurden als junge Mutter durch einen Schicksalsschlag im Jahr 2000 über Nacht Witwe, mussten plötzlich enorm viel Verantwortung übernehmen und sich voll ins Berufsleben stürzen. Zudem wurden Sie eine Person des öffentlichen Interesses. Wie haben Sie das gemeistert?

Das war äussert herausfordernd. Rückblickend glaube ich, dass es mir gelungen ist, weil ich verschiedene in mir schlummernde Stärken aktivieren konnte. Ich kann sehr schnell Entscheidungen fällen und habe es schon als Kind gelernt, Probleme zu lösen. Wenn mein Fahrrad eine Reifenpanne hatte und meine Eltern bei der Arbeit waren, musste ich selbst nach einer Lösung suchen, um nach Hause zu kommen. 

Haben Sie Neid oder Skepsis erfahren, dass Sie als Mutter und Unternehmerin erfolgreich sind?

Ich denke schon. Aber davon möchte ich mich nicht leiten lassen. Mein Beruf bereitet mir viel Freude. Ich kann aus meiner Tätigkeit und den Möglichkeiten, die sich mir bieten und die ich ergreifen konnte, viel Energie ziehen. Darum würde ich es heute genauso wieder machen!

Welche Bilanz ziehen Sie mit Blick auf Ihre Erfahrung, aber auch angesichts der anhaltenden politischen Debatten rund um die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Schweiz?

Obwohl wir hier in der Schweiz rechtlich gesehen gleichgestellt sind, leben wir sie nicht. Frauen sollten ihre Eigenständigkeit nicht aufgeben, wenn sie eine Familie gründen – insbesondere nicht in finanzieller Hinsicht. Es ist ein Appell an die Selbstverantwortung, sich als Frau nicht auf Eltern, auf den Partner, auf die Ehe oder auf den Staat zu verlassen. Das heisst einen Beschäftigungsgrad von rund 70 Prozent zu halten, weil das etwa das Mass ist, das es für die finanzielle Absicherung braucht. Mütter sollten beruflich am Ball zu bleiben und keine falschen Kompromisse eingehen. Und einen Partner wählen, der dieses Vorhaben nicht einfach nur bejaht, sondern es aktiv mitträgt. Denn auch hier sind die Statistiken klar: 50 Prozent aller Ehen werden geschieden. Es gibt den Gender Pension Gap und den Child-Penalty. Beides bedeutet signifikante finanzielle Nachteile für Frauen.

Sie haben bei Rahmenbedingungen auch das Kita-Angebot erwähnt: Welchen Stellenwert hat dieses für die Sicherung der Eigenständigkeit von Müttern?

Einen sehr wichtigen, aber das allein reicht eben nicht. Wir benötigen einen ganzen Massnahmenkatalog, um Anreize so zu setzen, dass mehr Subventionen und Krippenplätze effektiv auch in mehr Berufstätigkeit münden. Wenn nach der Kita das Tagesschulangebot fehlt, sich das zweite Erwerbseinkommen steuerlich gar nicht lohnt oder wir weiterhin klassische Rollenbilder vermittelt bekommen, kommen wir nicht weiter. 

Sind das staatliche Aufgaben?

Ja, auch der Staat hat hier eine Aufgabe. Ausser unserem Humankapital haben wir in der Schweiz nicht viel. Ich halte es für volkswirtschaftlichen Unsinn, wenn zum Beispiel über 50 Prozent aller Studierenden an den Universitäten und Hochschulen Frauen sind, die dann – wenn sie Mütter werden – aus dem Arbeitsprozess ausscheiden. Das zu verhindern ist im Interesse der Politik und der ganzen Gesellschaft. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist genauso wie die obligatorische Schulbildung eine Investition in unsere Zukunft.

Was würden Sie jungen Frauen – oder jungen Männern – als Rat mitgeben?

Sich aktiv für diese Veränderungen einzusetzen und das weltweit einmalige Privileg in diesem Land, immer wieder mitbestimmen zu können, zu nutzen. Und insbesondere mehr Frauen in politische Gremien zu wählen, die in diesen Fragestellungen einen Beitrag leisten.

«Das heisst, wer als Mutter mehr als nur in Teilzeit berufstätig sein möchte, muss gegen diese verschiedenen Stoppschilder und Stereotypen ankämpfen. Dazu braucht es eine gehörige Portion Mut, viel Durchhaltewillen und Widerstandsfähigkeit.»

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