— Brave, not perfect —

My new perfect is my imperfect!

Dr. Annabella Bassler
Dr. Annabella Bassler, 46
CFO Ringier AG, Initiator EqualVoice
Patchworkfamilie mit drei Kindern
(19, 14 und 9 Jahre)

Dr. Annabella Bassler ist CFO des Schweizer Medien- und Technologieunternehmens Ringier. Dort hat sie die EqualVoice Initiative ins Leben gerufen. Deren Ziel ist es, Frauen in der Medienberichterstattung sichtbarer zu machen und die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern zu fördern. Ihr Rat an berufstätige Mütter: Weniger Perfektionismus wagen!

Wie haben Sie selbst als beruflich erfolgreiche Frau und Mutter es erlebt und geschafft, Familie und Beruf zu vereinen? 

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist zweifellos eine Herausforderung, aber auch eine wichtige und erfüllende Aufgabe. Als CFO des Medienunternehmens Ringier und Initiatorin von EqualVoice sowie als Mutter eines Sohnes habe ich gelernt, dass es kein Patentrezept gibt, um diese Balance perfekt zu erreichen, da die Anforderungen und Umstände jeder Person einzigartig sind - nur eins hilft immer und das ist Humor. Meiner Meinung nach ist das Miteinander von Familie und Beruf ein kontinuierlicher Prozess, der sich im Laufe der Zeit ändern kann. Es erfordert Engagement, Kreativität und Flexibilität. Aber es lohnt sich und hat mir geholfen, sowohl beruflich als auch persönlich zu wachsen

Sheryl Sandberg spricht in Ihrem Buch «Lean In» offen über Momente, in denen sie als Mutter gestrauchelt ist. In «Brave, Not Perfect: Fear Less, Fail More, and Live Bolder» rät Reshma Saujani Frauen zu mehr Mut und weniger Perfektionismus. Gab es auch für Sie als Mutter Momente, die herausfordernder waren als andere? Oder Momente, in denen Sie sich gefragt haben, ob alles zu schaffen ist?  Was hat Ihnen in dem Moment geholfen? 

Ja, als Mutter und berufstätige Frau gab es definitiv Momente, die herausfordernder waren als andere, und Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob ich alles schaffen kann. Diese Momente sind Teil des Lebens und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ähnlich wie Sheryl Sandberg und Reshma Saujani habe auch ich in solchen Momenten wichtige Lektionen gelernt.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Perfektionismus oft ein Hindernis sein kann - Ziel sollte immer sein, sein Bestes zu geben, aber sich selbst auch zu erlauben, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Mut ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Manchmal erfordert es Mut, unkonventionelle Entscheidungen zu treffen, um Familie und Karriere in Einklang zu bringen. Insgesamt habe ich gelernt, dass es keine perfekte Balance zwischen Familie und Beruf gibt, aber es ist möglich, eine sinnvolle und erfüllende Integration zu finden, die zu meinem Leben passt. Diese Erfahrungen haben mich stärker gemacht und mir geholfen, sowohl als Mutter als auch in meiner beruflichen Rolle zu wachsen.

Wie gestalten Sie Ihren Alltag als Frau in einer Führungsposition und Mutter? Nehmen Sie sich bewusst Zeit für die Familie? Oder haben Sie ein anderes «Erfolgsrezept»? 

Mein «Erfolgsrezept» ist eine Mischung aus verschiedenen Punkten:

Effektive Zeitplanung: Ein strukturierter Zeitplan ist unerlässlich. Prioritäten setzen für berufliche Aufgaben und Familienzeit. Ausserdem bin ich ein grosser Fan von To-Do Listen, so behalte ich den Überblick über verschiedene Projekte, Themen und weiss immer, wo wir stehen.
Delegieren: Das weltbeste Team unterstützt mich – auf mein Team kann ich mich zu jeder Zeit verlassen und dadurch auch verschiedene Aufgaben delegieren.
Klare Kommunikation: Mit Partner, Kindern und Arbeit-geber:innen offen über Erwartungen, Bedürfnisse und Herausforderungen sprechen. Gute Kommunikation erleichtert die Koordination.
Selbstfürsorge: Ich nehme mir auch immer wieder bewusst Zeit für mich selbst. Eine gesunde mentale und körperliche Verfassung hilft, sowohl in der Karriere als auch in der Familie erfolgreich zu sein.

Welche Hürden gibt es in der Schweiz für berufstätige Mütter? 

In der Schweiz gibt es für berufstätige Mütter trotz fortschreitender gesellschaftlicher Entwicklung immer noch einige Hürden zu bewältigen. Einige der herausfordernden Aspekte sind:

Kinderbetreuung: Die Verfügbarkeit von bezahlbarer und flexibler Kinderbetreuung kann ein Problem sein. Oftmals sind die Betreuungsplätze begrenzt, und lange Wartelisten sind keine Seltenheit.
Teilzeitarbeit: Obwohl Teilzeitarbeit für viele berufstätige Mütter eine attraktive Option ist, kann sie sich negativ auf die Karriereentwicklung und das Einkommen auswirken.
Lohnungleichheit: In der Schweiz besteht nach wie vor eine geschlechtsspezifische Lohnlücke. Berufstätige Mütter sind häufig von dieser Ungleichheit betroffen und verdienen im Durchschnitt weniger als ihre männlichen Kollegen.
Traditionelle Rollenbilder: Obwohl sich die Einstellungen ändern, sind traditionelle Geschlechterrollen in einigen Bereichen immer noch präsent. Dies kann dazu führen, dass berufstätige Mütter mit Vorurteilen oder Erwartungen konfrontiert werden, die ihre berufliche Entwicklung einschränken könnten.

Was kann man gegen eine Benachteiligung von Müttern im beruflichen Umfeld tun?  

Um die Benachteiligung von Müttern im beruflichen Umfeld zu bekämpfen, müssen Unternehmen Chancengleichheit sicherstellen, flexible Arbeitsbedingungen anbieten und Eltern-zeitregelungen unterstützen. Schulungen zur Geschlechter-sensibilisierung und die Förderung weiblicher Führungskräfte sind ebenfalls entscheidend. Transparenz bei Gehaltsstrukturen und gesetzliche Rahmenbedingungen zur Gleichstellung der Geschlechter können die Situation weiter verbessern. Die Schaffung eines unterstützenden Netzwerks für Mütter und die Förderung von positiven Rollenbildern sind ebenfalls wichtige Schritte auf dem Weg zur Beseitigung der Benachteiligung von Müttern im Beruf.

Am Ende ist es aber auch ein Thema der Gesellschaft. Wir müssen aufhören Frauen dafür zu kritisieren, neben ihrer Mutterrolle auch berufliche Erfolge erzielen zu wollen und Männer in den Himmel zu loben, wenn sie sich am Samstagvormittag mit den Kindern beschäftigen - Familie, Haushalt und Karriere sollten gleichermassen gelebt und geteilt werden. Sowohl die Frauenrollen als auch die Männerrolle sollten neu definiert werden - hier braucht es auch Rollenmodelle.

Welche Rolle spielt die Wahl des Partners bei der beidseitigen Berufstätigkeit? 

Die Wahl des Partners spielt eine grosse Rolle. Nur wenn beide Partner sich gegenseitig unterstützen und auch zuhause Gleichstellung - im Haushalt und Kinderbetreuung - leben, funktioniert Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Partner. Ausserdem ist es wichtig offen, über finanzielle Themen zu sprechen und eine faire Lösung zu finden, damit keiner der Partner einen Nachteil hat - auch auf langfristige Sicht.

Ich kann mich an ein Beispiel einer Harvard-Professorin erinnern: Sie und ihr Mann haben einen Vertrag geschlossen, dass sie sich immer gegenseitig unterstützen und in der Karriere fördern wollen, ein super Beispiel für klare und wertschätzende Kommunikation. 

Welche Rolle spielen gute Betreuungsangebote für Sie und Ihre Familie oder welche Rolle haben sie gespielt? 

Dies war selbstverständlich ein wichtiges Thema für unsere Familie. Mein Sohn hat die Zeit in den verschiedenen Betreuungsangeboten immer sehr genossen, wurde gefördert und gefordert. Dies hat mir die Möglichkeit gegeben, mich neben meiner Mutterrolle auch auf den Beruf zu konzentrieren.

Was würden Sie Frauen raten, die Familie und Beruf vereinbaren wollen? 

Aus meiner Erfahrung ist einer der wichtigsten Punkte klare Prioritäten zu setzen: Was ist wirklich wichtig? Und hilft es mir, meinen Purpose zu erreichen? Das hilft, die Zeit und Energie effektiv zu nutzen - im Privaten und im Beruf. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die offene Kommunikation mit dem Partner:in, Familie und dem Arbeitgeber. Gemeinsam kann in (fast) jeder Lage eine gute Lösung gefunden werden. 

Ein weiterer wichtiger Punkt, der mir immer wieder auffällt: Delegieren und Unterstützung anzunehmen fällt vielen berufstätigen Frauen (und Männern) teilweise schwer. Es ist Zeit, dass wir auch im privaten Umfeld lernen, gewisse Aufgaben zu delegieren oder Unterstützung von Familie, Freunden oder professionellen Dienstleistern anzunehmen. Niemand erwartet, dass wir alles alleine schaffen müssen.

Und was nicht vergessen werden darf: Stopp mit dem Perfektionismus - my new perfect is my imperfect! 

«Es ist wichtig zu verstehen, dass Perfektionismus oft ein Hindernis sein kann - Ziel sollte immer sein, sein Bestes zu geben, aber sich selbst auch zu erlauben, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen.»

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